Mittelohrentzündung und Paukenerguss

Eine akute Mittelohrentzündung wird meist durch eine Mischinfektion aus Bakterien und Viren ausgelöst, die sich über die Verbindung des Ohrs zum Nasen-Rachenraum ausbreiten.

Besonders im Winter und Frühling häuft sich das Auftreten von akuten Mittelohrentzündungen, insbesondere bei kleinen Kindern. Sie entwickelt sich meist als Folge eines Infekts der oberen Atemwege. Bei Kindern können Erreger aus dem Nasen-Rachen-Raum durch die kürzere Ohrtrompete leichter aufsteigen und die Belüftung des Mittelohrs ist weniger gut ausgereift.

Abb.1 Schematischer Aufbau des Ohrs

Anatomische Gegebenheiten und Risikofaktoren

Risikofaktoren für eine Mittelohrentzündung sind vor allem Belüftungsstörungen des Mittelohrs, zum Beispiel durch vergrösserte Rachenmandeln nach wiederholten Infekten, die auch als Keimreservoir fungieren, und bei behinderter Nasenatmung.

Bei Kindern unter 7 Jahren ist die Ohrtrompete (Tuba auditiva) aufgrund der Anatomie des Schädels weniger schräg nach unten gerichtet, was den Abfluss aus dem Mittelohr erschwert. Durch den weicheren Tubenknorpel ist ausserdem die Ohrtrompete weniger geöffnet und durch die kürzere Länge haben Erreger einen kürzeren Weg nach oben aus dem Rachen (Abb. 2)

Weitere Risikofaktoren sind Rauchexposition (Tabak, offenes Feuer), weil es die Haarzellen, die aktiv helfen Schleim in den Nasen-Rachen-Raum abzutransportieren hemmt, sowie kein oder nur kurzes Stillen (Antikörperübertragung) und Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung wie Kita oder Schule. Auch die Benutzung eines Schnullers/Nuckis erhöht das Risiko des Auftretens einer akuten Mittelohrentzündung durch die vermehrte Mundatmung.

Abb.2 Tuba auditiva beim Kleinkind und Erwachsenen

Die Symptome einer akuten Mittelohrentzündung

Plötzlich einsetzende, meist einseitige heftige Ohrenschmerzen treten oft mit Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl auf. Es kann auch zu eingeschränktem Hören und Schwindel kommen. Im Fall eines geplatzten Trommelfells kommt es zum Abfliessen von Flüssigkeit und Eiter, was schlagartig die Schmerzen verringert.

Babys und Kleinkinder fallen dadurch auf, dass sie sich oft ans Ohr fassen und daran ziehen, unruhig, weinerlich und reizbar sind. Oft wollen sie auch nichts essen oder trinken und es kommt zu Erbrechen und Durchfall.

Krankheitsverlauf und Behandlungsansätze

Meist heilt eine akute Mittelohrentzündung innerhalb einiger Tage folgenlos ab. Unterstützen kann man die Heilung durch viel trinken, abschwellende Nasentropfen um das Mittelohr besser zu belüften und schmerz-/fiebersenkende Mitteln. Eine Antibiotikagabe ist meist nur nötig, wenn die Entzündung beidseitig auftritt, bei Ausfluss aus dem Ohr, bei starken allgemeinen Krankheitszeichen oder bei einem geschwächten Immunsystem. Auch bei Kindern unter 6 Monaten und wenn es keine Verbesserung nach 24, bzw. 48 Stunden nach dem ersten Arztbesuch bei Kindern unter 2, bzw. über 2 Jahren gibt, wird meist auch ein Antibiotikum gegeben.

Bei Kindern bei denen die erste Episode einer Mittelohrentzündung im Alter von unter einem Jahr auftritt ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zum wiederholten Auftreten von Mittelohrentzündungen kommt.

Bei wiederkehrenden Entzündungen gilt es die Belüftung des Mittelohrs, zum Beispiel durch das regelmässige Aufblasen eines Luftballons, zu verbessern. Von medizinischer Seite kommen Paukenröhrchen oder die Entfernung der Rachenmandeln in Frage, wenn sie ein Hindernis oder eine dauerhafte Entzündungsquelle darstellen. In der Literatur konnte allerdings bisher keine Verringerung des Wiederauftretens von Mittelohrentzündungen durch die Entfernung der Rachenmandeln in Kindern unter 4 Jahren gezeigt werden1.

Operative Behandlung: Europa versus USA

Interessant ist, dass das operative Vorgehen in Europa sich von dem in den USA stark unterscheidet. In Europa wird davon ausgegangen, dass die Rachenmandeln leicht eine Abflussbehinderung darstellen und deswegen entfernt werden müssen. In den USA hingegen werden sie nur selten entfernt, sondern eher nur die Flüssigkeit aus dem Mittelohr abgesaugt. Die Belege in der Literatur für eine tatsächliche Abflussbehinderung durch die Rachenmandeln sind eher dünn, eine Rolle als Keimreservoir scheint wahrscheinlicher4.

Komplikationen

Bei Kindern bleibt nach einer akuten Mittelohrentzündung oft eine Flüssigkeitsansammlung (Paukenerguss) hinter dem Trommelfell zurück. In 35-40% nach einem Monat, in 5-10% sogar noch nach 3 Monaten. 80% der Kinder bis zum 8.Lebensjahr haben einmal zeitweise einen Paukenerguss gehabt.
Die Ursache hierfür ist ein fehlender Druckausgleich der zu einem Unterdruck im Mittelohr führt. Dadurch zieht sich das Trommelfell ein und das Schleimhautgewebe im Mittelohr schwillt an und produziert Flüssigkeit. Bleibt der Paukenerguss über lange Zeit bestehen kann das durch die Hörbeeinträchtigung auch die Sprachentwicklung negativ beeinflussen (Abb.3)

Eine seltene Komplikation ist die Ausbreitung der Entzündung auf den Knochen hinter dem Ohr (Achtung bei plötzlich stark abstehendem Ohr und Druckschmerz hinter dem Ohr) oder weiter nach innen ins Ohr oder Gehirn.

 

Abb.3 Paukenerguss

Prävention

Vorbeugend wirken Impfungen, insbesondere gegen Hib, Influenza und Pneumokokken, ausserdem Stillen durch die Übertragung mütterlicher Antikörper.

Birkenzucker (Xylitol) wie er zum Beispiel als Süssungsmittel in Kaugummis eingesetzt wird kann das Wachstum von Bakterien im Hals-Nasen-Rachenbereich verhindern und konnte in einer Studie das Vorkommen von akuten Mittelohrentzündungen um 25% senken2. Der Verzicht auf einen Schnuller konnte in einer Studie das Risiko einer Mittelohrentzündung um 30% senken3.

Osteopathische Behandlungsansätze

Die osteopathische Behandlung hat zum Ziel den Abfluss aus dem Mittelohr und den Druckausgleich zu verbessern. Sowohl im Entzündungsstadium – wenn der Allgemeinzustand des Kindes es erlaubt – sowie vorbeugend kann die osteopathische Behandlung eine Unterstützung sein.

Mechanische Bewegungseinschränkungen in allen umliegenden Strukturen wie dem Kiefer und der Halswirbelsäule aber auch Spannungen im Schädel und der umliegenden Muskulatur können einen Einfluss auf das Ohr haben. Auch eine gute Versorgung der Schleimhäute des Ohrs und Rachens ist wichtig damit das Immunsystem dort möglichst effizient arbeiten kann.

Lymphatische Techniken zielen darauf ab den Abfluss aus dem Kopf- und Halsbereich zu unterstützen, während eine direkte Mobilisierung und Pumptechniken des Kiefergelenks und Ohrs den Abfluss aus dem entzündeten Bereich erleichtern.

Das Schläfenbein in dem sich das Mittel- und Innenohr befinden ist eine wichtige Ansatzstelle für Muskeln des Kauapparates, des Schluckprozesses und der Zungenbeweglichkeit. Auch Muskeln des Nackens setzen dort an. Über diese Verbindungen können auch Spannungen im Bereich des Ohrs entstehen, die man in der osteopathischen Behandlung sanft lösen kann.

In Studien konnte gezeigt werden, dass eine osteopathische Behandlung in der Kombination mit der normalen ärztlichen Versorgung den Verlauf und das Wiederauftreten von Mittelohrentzündungen verbessern, bzw. verringern konnte5-8. Hierbei konnte auch der Paukenerguss innerhalb von 2 Wochen nachweisslich reduziert werden5.

 

12.2024 Clara Nürnberger

  • https://www.amboss.com/de/wissen/akute-otitis-media

    https://www.amboss.com/de/wissen/tubenfunktionsstorungen#Z40338a646362531a9e1d5bffac3b6fd9

    https://www.amboss.com/de/wissen/chronische-otitis-media

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